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Residente

"Las palabras ya no importan" - Residentes Meisterwerk

Stand: 06.03.2024, 06:00 Uhr

"Las letras ya no importan"- heißt soviel wie: "Songtexte sind nicht mehr wichtig". Residente ist Rekordhalter der Latin-Grammys und wird gerade wegen seiner sozialkritischen Lyrics in Lateinamerika verehrt. Jetzt präsentiert er sein zweites Soloalbum.

Von Łukasz Tomaszewski

Ein Meisterwerk: Auf einer Gesamtlänge von 94 Minuten und 23 Songs mit weltbekannten Featuregästen: Busta Rhymes, Big Daddy Kane, Ibeyi, Ricky Martin. Oft getragen von orchestralen Streichern. Thematisch geht es viel um die eigene mentale Gesundheit: Residente leidet an Depressionen, spricht offen über Verlustängste, gepaart mit Nostalgie. Im autobiografischen Song"René" singt er von seiner Jugend, wie er in Puerto Rico Baseball spielte und wegen seiner kaputten Klamotten nicht in den Club kam.

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"Da will ich wieder hin", singt er: "Ich will wieder ich selbst sein". Nicht so einfach, wenn man ein globaler Popstar mit Millionen Followern ist, wenn man 31 Latin-Grammys gewonnen hat, so viele wie kein anderer Rapper. Mehrere Songs des neuen Albums erzählen von nostalgischen Kindheitserinnerungen und seiner Studienzeit mit seiner Ex-Freundin Leonie, die sogar auf Deutsch ein Spoken-Word-Skit eingesprochen hat.

Nostalgie oder Midlife?

"Ich weiß, dass ich nicht mehr so relevant bin", heißt es an anderer Stelle. Heute wollen die Kids kein Selfie mehr mit ihm, sondern er soll die Kids fotografieren, wird nicht mehr erkannt: Ist er mit 45 und dem angegrauten Bart noch der große urbane Poet, dessen Texte an Universitäten besprochen werden? Ein Wechselbad aus Lebenshunger und Selbstzweifeln ergießt sich im Titelsong. Aber niemals frustriert, stets mit dem Augenzwinkern von einem, der schon längst alles erreicht hat. Gleichzeitig legt er sich mit der jungen Pop- und Rapwelt an.

"Songtexte sind nicht mehr wichtig"

Residente kritisiert, dass die meisten Artists unpolitisch sind - nur auf den Erfolg und kurzlebige Trends aus. Der Albumtitel ist Programm: "Songtexte sind nicht mehr wichtig". Für ihn steht Rap immer noch für Widerstand von unten. Gleichzeitig beweist er, wie fresh seine eigenen Skills noch sind. Am besten gelingt ihm das mit zwei Veteranen des Rap. Mit Hochgeschwindigkeitsrapper Busta Rhymes lässt er auf "Cerebro" kein Stein mehr auf dem anderen stehen. Wann holen die beiden bitte Luft? Schon ziemlich rekordverdächtiges Tempo. Mit Big Daddy Kane und DJ Craze huldigt Residente 50 Jahren urbaner HipHop-Kultur. Schließlich wohnt Residente seit Jahren in New York. Auch das soll hier nicht unerwähnt bleiben.

Gegen Besatzung und Unterdrückung

Residente hat schon mit Calle 13 die soziale Schere in Lateinamerika immer wieder zum Thema gemacht. Auch diesmal klagt er an: Differenziert und klug - niemals plump. "Bajo Los Escombros"- also "unter Trümmern" - ist eine Kollabo mit der israelisch-palästinensischen Sängerin Amal Murkus. Es geht um den Kampf um Selbstbestimmung von Generationen von Jugendlichen, die mit Stöcken und Steinen gegen übermächtige Gegner in Panzern kämpfen. Residente kokettiert dabei nicht mit israelbezogenem Antisemitismus wie so viele andere - er spricht über das Leid der Menschen. Aus Frust, dass niemand in der Musikindustrie über den Krieg im Gaza sprach, boykottierte er sogar die letzten Latin-Grammys.

Puerto Rico bleibt Heimat

Und Puerto Rico - seine eigene Heimat - spielt eine wichtige Rolle auf einem der zentralen Songs des Albums. Ein sehr schönes Duett mit dem Exilkubaner Al2 el Aldeano. "En Talla" ist ein richtiger Kunstgriff. Es geht darum, wie Puerto Rico als US-Kolonie unter schlechter Verwaltung und kultureller Unterdrückung leidet. Und im Gastpart geht es wieder um Kuba: Seit 70 Jahren zwar frei von US-Einfluss, dafür Land, in dem Künstler und Musiker im Knast sitzen, weil sie die sozialistische Diktatur kritisierten. "Korruption und Unterdrückung - überall sind die Politiker gleich" lautet ihr gemeinsames Fazit. Getragen werden die beiden Rapper von der klassischen Tres-Gitarre auf einem Guajiro-Son. Total authentisch, ehrlich und überragend wie das ganze Album.